Dem Heinerhofbauern sein Knecht: Der Ökoreichtum

Dem Heinerhofbauern sein Knecht - Foto: Heinerhofbauer
Dem Heinerhofbauern sein Knecht – Foto: Heinerhofbauer

Dieser Tage habe ich einen Anruf vom Heinerhofbauern erhalten. Es war mehr ein Hilferuf. Auf den Heinerhof kommen sollte ich, um dem Knecht ins Gewissen zu reden. Ich sei der Einzige, auf den er vielleicht noch hört.

Seit der Knecht mit dem Hofladen, den ihm der Bauer eingerichtet hatte, ein Vermögen macht, führe er sich auf, als sei er selbst der Bauer – und der Bauer sein Knecht. Zwar bin ich schon länger nicht mehr beim Heinerhofbauern seinem Knecht zu Besuch gewesen, aber ich wußte, daß die Sache mit seinem “Impfhonig” ein riesiger Erfolg geworden war. Im Gastronomiegroßhandel unten im Tal kaufte der Knecht seit geraumer Zeit zu einem Spottpreis chinesischen Billighonig in großen Plastikeimern und füllte ihn dann auf dem Hof in kleine Steinguttöpfchen um. Dreißig Euro verlangt er für jedes seiner exclusiven Töpfchen. Er verkauft sie an die Bergwanderer, die am Hof vorbei vom Berggipfel zurück ins Tal laufen. Das sind 23 Euro Reingewinn pro Steinguttöpfchen. Die Etiketten läßt er sich drucken: “Impfhonig – die Bio-Kraft vom Heinerhof. Das natürliche Hausmittel aus den Bergen gegen den Tod nach der Impfung”. Die Leute sind verrückt nach dem Impfhonig vom Heinerhofbauern seinem Knecht. Das wußte ich. Was ich nicht wußte, war, daß der Knecht sein Sortiment inzwischen um Dienstleistungen und andere Produkte erweitert hatte, und daß er Geld scheffelte wie Heu.

Jedenfalls sollte ich auf den Heinerhof hinaufkommen, um dem Knecht ins Gewissen zu reden, bat mich der Bauer. Der Knecht vernachlässige seine Arbeit. Was nicht gehe, das gehe einfach nicht. Der Knecht wolle neuerdings vom Bauern und der Bäuerin mit “Mein Heinerhofführer” angesprochen werden. Alles sei nur noch “Heil!” auf dem Hof. Der Knecht verkaufe jetzt auch noch ökologische Flüssig-Heilseife, und auf den Unimog habe er “Heilunimog” draufgepinselt.

Es sah wirklich so aus, als ob es höchste Zeit für mich geworden wäre, dem Heinerhofbauern seinem Knecht wieder einmal einen Besuch abzustatten. Also machte ich mich auf den beschwerlichen Weg in die Garage, um die steile Bergstrecke zum Heinerhof hinauf zu bewältigen.

Als ich aus dem Auto ausstieg, konnte ich den Unimog schon sehen. Tatsächlich: Auf der einen Seite hatte der Knecht “Heilunimog” draufgepinselt, darunter stand “Dem Knecht sein ökologischer Gipfelsturm”. Auf der anderen Seite stand “Ökounimog” und darunter “Dem Knecht seine Höhenluftheilfahrten”. Der Knecht sah mich schon von weitem und kam auf mich zu. “Heil, mein Heinerhofführer!” rief ich ihm entgegen. Der Knecht lachte. “Hat es sich wohl schon bis ins Tal herumgesprochen?”, fragte er, und fügte an, daß ich besser einen Termin hätte ausmachen sollen, weil er jetzt ein sehr beschäftigter Knecht geworden sei, der wenig Zeit hat. Ob ich ihn auf einer Probefahrt mit dem Unimog begleiten wolle. Er habe da etwas installiert und müsse überprüfen, ob es auch geht. Wir könnten uns ja während der Fahrt unterhalten. Also stieg ich ein.

Der Luft-Heilanzeiger

Der Knecht hatte ein kleines Zusatz-Armaturenbrett im Führerhaus eingebaut. Ein Dutzend verschiedenfarbiger LEDs auf gebürstetem Aluminium. Beschriftet war die Aluplatte mit “Luft-Heilanzeiger”. Im Grunde habe das Ganze mit dem Unimog nichts zu tun, so der Knecht. Sein “Luft-Heilanzeiger” sei an eine 9-Volt-Batterie angeschlossen, die mit Klebeband versteckt hinter dem Aluminiumbrett angebracht ist. Der Luft-Heilanzeiger ließe sich mit einer Flügelschraube im Führerhaus befestigen und ebenso leicht wieder herausnehmen. Mit dem Unimog habe er schon ohne den Luft-Heilanzeiger seit vergangener Woche sechzig Bergwanderer bis fast zum Gipfelkreuz hinauftransportiert.

Werbung macht der Knecht auch. Damit die Wanderer wissen, daß es gesünder und auch besser für die klare Bergluft sei, sich mit dem Unimog fahren zu lassen anstatt zu laufen, wirbt der Knecht mit einem Großplakat auf dem Scheunentor für seinen Luftheil-Unimogservice. Ein Stethoskop um den Hals, lächelt er mit hochgerecktem Daumen vom Plakat auf dem Scheunentor herunter. Im Vordergrund sein zusammengebastelter “Luft-Heilanzeiger”. Auf dem Plakat behauptet er, daß der wissenschaftlich getestete Öko-Heil-Unimog die Bergluft umso besser reinigt, je lauter der Motor läuft, und daß selbst der fitteste Wandersmann beim Schnaufen nur schädliches CO2 ausstößt, anstatt etwas für die dringend notwendige Reinigung der klaren Bergluft zu tun.

Eine solche Werbung sei gut für das schlechte Gewissen der Wanderer, so der Knecht. Die bildeten sich nämlich viel ein auf ihr schlechtes Gewissen. Das habe er schon bemerkt. Er habe sich das so gedacht, daß die Wanderer künftig einsteigen, um sich als nächstes um den Sitzplatz direkt vor dem Luft-Heilanzeiger zu streiten.

Fünf Bergwanderer bringe er in der Kabine unter, bei schönem Wetter zehn weitere auf der Ladefläche. Zwar verbrauche der Unimog genauso viel Diesel wie eh und je, sagt der Knecht, einen Partikelfilter und ähnlichen reparaturanfälligen Schnickschnack habe er sowieso noch nie gehabt, aber seit die Sache mit dem Impfhonig ein solcher Erfolg geworden sei, habe er es im Urin, daß es ausreichen würde, dem Unimog ein anderes Image zu verpassen, um ihn in der Wahrnehmung der Bergwanderer zu einem luftreinigenden Heilsbringer werden zu lassen. Seinen Fahrgästen wolle er erzählen, daß der Unimog die klare Bergluft umso besser reinigt, je dünner die Luft wird.

Der Knecht steckte den Schlüssel ins Zündschloß. Dann betätigte er einen Schalter am “Luft-Heilanzeiger”. Im Stand auf dem Hof leuchteten zuerst zwei rote Lämpchen an der Aluplatte, die anzeigen, daß die Luftreinigung aktiviert ist, aber noch nicht arbeitet. Dann ertönte aus dem Kabinenlautsprecher ein Gong, während zwei gelbe Lämpchen leuchteten. Das sei die Startfreigabe, erklärte der Knecht und fuhr los. Nach hundert gewonnenen Höhenmetern auf dem Weg zum Gipfelkreuz hinauf fingen die gelben Lämpchen hektisch zu blinken an. Der Knecht, so erzählte er mir, wolle die Wanderer künftig darauf hinweisen, daß nun die Luftreinigung begonnen habe. Nach weiteren hundert Höhenmetern gingen die gelben Lämpchen aus und es erstrahlten stattdessen acht lichtstarke Lämpchen in grün. Wenn die angehen, so der Knecht, werde er seinen Bergwanderern erzählen, daß sie an einer besonders erfolgreichen Luftreinigungsfahrt teilnähmen, weil sonst nur drei oder vier grüne  Lämpchen leuchten würden. Und daß er sich darüber mit ihnen gemeinsam freue. “Gemeinsam” sei nämlich das Schlüsselwort zum geschäftlichen Erfolg, so der Knecht. Dann wolle er auch noch ein fröhliches “Wos a Luftheil-Freid-heit!” anfügen, wie ein gutgelaunter Gaudibursche auf den Luft-Heilanzeiger deuten und den Wanderern zuzwinkern, ehe er sich rustikal auf die Schenkel klopft. Für das Fahrtende kurz vor dem Gipfelkreuz plane er, auf Wunsch ein Höhenluft-Heilzertifikat für sechs Euro auszustellen, mit dem die Wanderer jederzeit nachweisen können, daß sie die Bergluftverträglichsten des jeweiligen Wandertages gewesen seien. Stempel: “Der Heinerhofführer.”

Wenn der Knecht überzeugt sei, sagte er, daß er es mit besonders fanatischen Reinluftfreunden zu tun hat, habe er für einen solchen Fall die blauen Lämpchen verbaut. Die könne er auch noch blinken lassen und mit ernster Miene erklären, daß es sich um eine Meldung vom Finanzamt handle, die ihm anzeigt, daß er sich seine Öko-Luftreinigungsprämie in bar abholen soll, und daß das letztlich eine Subvention für die Bergwanderer sei, weil er sonst drei Euro mehr für die Fahrt verlangen müsste. Die blauen Lämpchen zeigten im Grunde eine Fahrpreisermäßigung an. Noch vor den grünen würden es bestimmt die blauen Lämpchen werden, die regelmäßig für die größte Begeisterung sorgen, erläuterte mir der Knecht seinen Plan.

Für die zehnminütige Fahrt bis kurz unter das Gipfelkreuz hoch über dem Heinerhof verlange er heute schon 9 Euro 50 pro Nase, was sich sehr gut rechne, wenn er den Unimog mit Bergwanderern aus der Stadt voll hat. Außerdem gebe es gegen Vorlage des Fahrscheins zwei Euro Rabatt auf den Impfhonig und die flüssige Heilseife im Hofladen. Damit er den Rabatt nicht zu häufig gewähren müsse, habe er auf der Ladefläche einen kleinen Behälter mit einem schmalen Einwurfschlitz befestigt, der mit “Abfall & Fahrscheine” beschriftet ist. Zu schmal für den Abfall, aber genau passend für die Fahrscheine. Zuviel Rabatt sei schließlich schlecht fürs Geschäft.

Ich staunte nur noch, und wußte zunächst gar nicht, was ich sagen sollte. Eigentlich hätte ich dem Heinerhofbauern seinem Knecht doch ins Gewissen reden – , ihn wieder auf den Boden der ständischen Tatsachen zurückholen -, und ihm klarmachen sollen, daß es nicht geht, sich vom Bauern und der Bäuerin mit “Mein Heinerhofführer” anreden zu lassen. Doch ehe ich dazu kam, erzählte mir der Knecht von seinen weiteren Plänen.

Demnächst wolle er dem Heinerhofbauern den Hof abkaufen. Seit die Schwägerin im Tal unten einen Onlinehandel mit den Öko- Heilprodukten vom Heinerhof eingerichtet habe, wisse er gar nicht mehr, wohin mit dem ganzen Geld. Leider ziehe der Heinerhofbauer noch nicht so recht. Aber er werde ihm schon noch ein Angebot machen, das er nicht ablehnen kann. Sein neuester Renner im Internet sei eine Bio-Zahnpasta, die er mit einer Mischung aus zerriebenen Brennesseln von hinter dem Hühnerstall und zerstossenen Pfefferminz-Tic-Tacs von der Tankstelle unten im Tal herstellt, mit stark gesalzenem Melkfett in eine streichfähige Form bringt, und mit einer alten Fettpresse in neutrale Blechtuben hineindrückt. Die stecke er dann in ein Jutesäckchen und verkaufe sie als “Dem Knecht sein ökologischer Beißkraftverstärker” für zwölf Euro dreißig pro Tube im Säckchen. Das laufe bald schon besser als der Impfhonig. Für die Mountainbiker, von denen es auch immer mehr gebe, habe er ebenfalls schon etwas im Sortiment. “Gesundluftpumpen”, die “Original vom Heinerhofbauern seinem Unimog gereinigte Bergluft” in die Reifen pressen, wenn man sie oberhalb von 800 Metern über Meereshöhe verwendet. Sein Slogan: “Ohne die Heinerhof-Gesundluftpumpe bist du kein echter Mountainbiker!”

Ich war hin und hergerissen, was ich dem Heinerhofbauern seinem Knecht noch sagen sollte. Die Bundestagswahl war gelaufen. Es stand zweifelsfrei fest, daß jeder, der künftig expandieren will, seinen Businessplan an einer völlig verblödeten Kundschaft ausrichten muß. Dem Knecht war kein Vorwurf zu machen. Er hatte die Zeichen der Zeit richtig gedeutet. Sprachlos saß ich neben ihm auf dem Beifahrersitz und beobachtete, wie die grünen Lämpchen auf dem Luft-Heilanzeiger bei der Talfahrt zunächst gelb wurden, um dann bei Rot auf dem Heinerhof auszusteigen. Der Knecht stellte den Motor ab.

Aus der Traum

Der Heinerhofbauer hatte schon auf uns gewartet. Mit einem fragenden Blick schaute er mich an, aber ich konnte nur hilflos mit den Achseln zucken. Der Heinerhofbauer rang nach Luft und faßte sich mit beiden Händen an den Kopf. Er schien damit gerechnet zu haben, daß es mir womöglich nicht gelungen sein könnte, dem Knecht ins Gewissen zu reden. Er wandte sich also selbst an den Knecht. “Knecht …”, hob er an, um vom Knecht sofort unterbrochen zu werden. “Mein Heinerhofführer heißt das!”. Da reichte es dem Heinerhofbauern.

Wutentbrannt stiefelte er hinüber zum Hofladen, riß das Schild über dem Eingang herunter, zog seinen Schlüsselbund aus der Hosentasche und sperrte die Ladentür ab. Dann brüllte er zum Knecht und zu mir herüber: “Aus und vorbei mit Hofladen, Knecht! Das hier ist mein Hof! Du bist der Knecht und die Öko-Bezos seid ihr nicht, du und deine Schwägerin! Der Heinerhofführer … bauer … bin immer noch ich! Wenn dir das nicht paßt, dann schleich dich! Was bildest du dir überhaupt ein!? Schau, daß du endlich den Stall ausmistest, es ist schon bald Mittag! Du bist doch vom Öko-Wahnsinn besoffen!” – Der Knecht zuckte zusammen und blickte desillusioniert auf seine Gummistiefel herab. Ein resignierender Seufzer entrang sich seiner Brust. Dann murmelte er leise: “Fetzenidee. Vom Öko-Wahnsinn besoffen. Das wäre ein Verkaufsschlager geworden. Öko-Heilobstler in Schnapsflaschen aus biologisch gewachsenem Kiefernholz … “.

Ich schwieg betreten, klopfte dem Knecht aufmunternd auf die Schulter und trottete zu meinem Auto hinüber, um den Heimweg anzutreten. Insgeheim freute ich mich, daß der Bauer ein Machtwort gesprochen hatte. Dem Heinerhofbauern seinen Knecht hätte ich ungern überschnappen sehen. Mir war er lieber so, wie er immer gewesen ist.