Die Ereignisse im Land ließen mich unruhig schlafen, ich wälzte mich von einer Seite auf die andere, wurde immer wieder kurz wach, schlief wieder ein, und endlich kam Morpheus und wiegte mich in seinen Armen in den Traum. ich war unterwegs.
Lautlos, wie schwebend, erklomm mein Allradler die tief verschneite Bergstrecke durch den Wald hinauf zum Heinerhof. Sphärische Klänge begleiteten mich wie synthetisierter Engelsgesang. Zwischen den tief verschneiten Baumwipfeln hindurch kitzelte mich der Sonnenstrahl im Wechsel von gleißend hellem Licht und winterlichem Schatten an der Nase und alles wirkte sehr unwirklich.

Als ich vor dem Heinerhof aus dem Wagen ausstieg, lag ich sofort im Pulverschnee. Der Allradler stand einen knappen Meter über mir in der klirrend kalten und klaren Bergluft. Ich konnte unter ihm hindurchschauen auf den Heinerhof. Dort öffnete sich die Haustür und dem Heinerhofbauern sein Knecht schwebte heraus, um mich zu begrüßen. In der Luft stehend bückte er sich und blickte freundlich von der anderen Seite her unter dem Auto hindurch und fragte, ob ich noch länger im Schnee liegen bleiben wollte. Seine Stimme erreichte wie aus einer fernen Welt meine Trommelfelle. Ich stand auf, schüttelte mir den Schnee von Jacke und Hose, und kurze Zeit später saßen wir in der warmen Stube auf der Eckbank am Kachelofen. Alles war auf einmal sehr real. Der Knecht strahlte mich an. Er bekomme sein Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht, lachte er, seit im Tal unten mit der Virenbagage aufgeräumt worden sei. Davon hatte ich nichts mitbekommen. Umso interessanter war die Geschichte, die mir der Knecht zu erzählen hatte. Es musste wohl passiert sein, als ich mich in dunkler Nacht zuhause unruhig von einer auf die andere Seite wälzte.
Stockdunkel sei es gewesen so der Knecht, als die Befreier fast lautlos von vier Seiten her auf das Dorf zugekommen sind. Der frisch gefallene Schnee habe das meiste Gebrumm der Panzermotoren geschluckt und auf einmal sei das Dorf umstellt gewesen. Die Dörfler hätten erst gemerkt, was los ist, als unüberhörbar die Stromgeneratoren für die Flutlichter anliefen, die dann noch jedes Schlafzimmer taghell erleuchteten. Während ein Spezialtrupp die beiden Arztpraxen neben dem Kirchplatz und bei der Omnibus-Haltestelle erstürmte, um den dort gelagerten Impfstoff sicherzustellen, sei ein Jeep mit einem Lautsprecher auf dem Dach durchs Dorf gefahren. Die Dörfler seien aufgefordert worden, in ihren Häusern zu bleiben und dort auf das Eintreffen der Vernehmungseinheit zu warten. Jeder Fluchtversuch sei aussichtslos, da das Dorf lückenlos abgeriegelt worden sei. Gleich danach habe man es klirren hören. Die Scheibe des Schaukastens vor der Kirche war eingeschlagen worden, erzählte der Knecht, das Plakat mit der Aufschrift “Impfe deinen Nächsten wie Dich selbst” sei herausgerissen, desinfiziert und verbrannt worden. Der Röhrmoser von gegenüber habe ihm erzählt, die neue Pfarrerin hätte geflucht wie ein Rohrspatz und dauernd etwas von “Keine Gewalt gegen Frauen” geschrien, als sie mit kahlgeschorenem Kopf aus dem Pfarrhaus heraus- und ins Gemeindehaus hinübergeschleift worden ist, wo die Befreier gerade dabei waren, eine schwer bewachte Sammelstelle für die Pandemiehysteriker und die Denunzianten im Dorf einzurichten. Derweil sei der Jeep weiter durchs Dorf gefahren und habe die Dörfler mit Lautsprecherdurchsagen beruhigt. Niemand brauche Angst zu haben. Die Befreier seien Freunde, die gekommen seien, um das Dorf von den finsteren Impftyrannen zu befreien, auf daß alle ihre Lebensfreude, das Licht, die Luft zum Atmen, das Kinderlachen, die Freiheit und die Liebe zurückerhalten würden. Bald schon seien in den Erdgeschossen die ersten Fenster aufgegangen und die Bäuerinnen hätten den Befreiern frisch gebrühten Kaffee und köstliches Weihnachtsgebäck angeboten. Der Mesner habe von den Befreiern den Auftrag erhalten, die Kirchenglocken zu läuten mitten in der Nacht – und bald seien auch die ersten Adventslieder aus den Häusern zu hören gewesen. Nicht ein einziger Schuß sei gefallen.
Die Schilderung des Knechts kam mir bekannt vor. War das nicht das, was ich geträumt hatte, als ich mich unruhig von einer Seite auf die andere wälzte? Wie konnte das sein? Ich saß doch hier mit dem Knecht auf der Eckbank vor dem warmen Kachelofen. Es war Vormittag, draußen glitzerte der Schnee auf dem Heinerhofplateau in der Sonne, auf der anderen Talseite standen im Schatten der Berge die tief verschneiten, dunklen Wälder. Die Bäuerin brachte Tee, Rum, Lebkuchen und Plätzchen und mich überkam die Angst vor dem Sodbrennen tatsächlich. Das war kein Traum. Oder war es doch einer? Es war nicht wirklich wichtig, denn der Knecht erzählte weiter, was in der Nacht passiert war.
Der Bürgermeister, der gesamte Gemeinderat und die Lehrerin, allesamt Pandemiepropagandisten, sowie die beiden Spritzenverbrecher aus den erstürmten Arztpraxen hätten versucht, kurz vor Sonnenaufgang im Schutz der dunklen Flecken, welche die Flutlichtstrahler übriggelassen hatten, den Belagerungsring zu durchbrechen, um in Faschingskostümen zu entkommen, die sie zuvor bei einem Einbruch in das Vereinsheim der Narrhalla gestohlen hatten, so der Knecht. Jedoch habe die alte Huberin Zeter und Mordio geschrien, als sie den Bürgermeister in seinem Narrenkostüm wiedererkannt hatte, woraufhin sofort Befreier zur Stelle gewesen seien, die die ganze Impfbande mit einem Lasso einfingen, eng zusammenschnürte und ins Gemeindehaus verfrachtete, wo sie von der kahlgeschorenen und finster dreinblickenden Pfarrerin angespuckt und als Versager beschimpft worden sei. Besonders der Bürgermeister habe sein Fett abbekommen, weil es das Gebimmel der Narrenglöckchen an seiner Kappe gewesen ist, das die alte Huberin alarmiert hatte. Im Morgengrauen sei dann das Knattern von Hubschraubern zu hören gewesen, die mit Blutkonserven gekommen waren, um die bereits Geimpften vor dem lauernden Tod in ihren Adern zu befreien. Noch immer sei der Jeep unterwegs gewesen, habe die Dörfler mit Durchsagen beruhigt und mit Informationen versorgt, etwa mit der, daß es so wie im Dorf allerweil überall im ganzen Land zugehe. In wenigen Stunden würden sich alle wieder frei bewegen können, niemand müsse mehr eine Sklavenmaske tragen, alle Dörfler dürften wieder in die Läden gehen, die Kinder dürften sich wieder gegenseitig besuchen und zusammen spielen, am Abend gebe es eine feierliche Dankveranstaltung vom Brandenburger Tor live aus Berlin im Fernsehen, und das sei auch das einzige, was es heute im Fernsehen gibt, weil die Intendanten und fast alle Redakteure festgenommen worden seien. Für morgen sei als einzige Sendung die Live-Übertragung von der Sprengung des “Spiegel”-Verlagsgebäudes in Hamburg geplant. Das wahre Ausmaß der Korruption im Land werde scheibchenweise im Lauf der kommenden Wochen veröffentlicht. Nach dem Software-Milliardär werde mit einem internationalen Haftbefehl gefahndet.
Ich konnte es kaum glauben und forderte den Knecht auf, einmal den Fernseher in der Stube einzuschalten, zweites Programm. Tatsächlich: Es gab nur das Testbild zu sehen mit dem eingeblendeten Hinweis, das Programm sei bis 20.15 Uhr unterbrochen. Auch im ersten Programm: Testbild. Radio an: Nur ein Rauschen. Mich hielt es nicht mehr auf der Eckbank. Ich stand auf und trat vor die Haustür. Von Ferne konnte ich ganz leise den Posaunenchor unten im Dorf hören. Großer Gott wir loben dich. Lauter war das Muhen der Kühe im Stall. Zurück in der Stube lachte mich der Knecht an und sagte: “Gell, da schaust!?”.
Höllische Schmerzen im linken Ellenbogen. Ich hatte mich unruhig aus dem Bett herausgewälzt und war dabei mit dem Arm über die scharfe Kante des Bettgestells gerollt. Nach einer kurzen Orientierungsphase tastete ich nach dem Wecker und drückte die Lichttaste. Drei Uhr 42. Dann rappelte ich mich hoch und blickte aus dem Fenster, während ich meinen Ellenbogen rieb. Leichtes Schneetreiben im diffusen Schein der Straßenlaterne gegenüber. Totenstille. Ausgangssperre. Kein Auto, kein Fußgänger. Niemand. Nichts. Ich war wach. Der Albtraum hatte mich wieder.