Erdingers Koalitionsverhandlungen: Der Vorschlag zur Güte

Speaker´s Corner, Hyde Park, London – Foto: Imago

 

Meine sehr geehrte Damen und Herren Volksverteter,

in meiner staatstragenden Funktion als Souverän dieses einst kultivierten Landes erlaube ich mir heute, aus großer Sorge um eine unnötige Zeitverschwendung bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen, mich mit einem sehr effizienten Vorschlag zur schnellen Lösung der parteilichen Beuteverteilung zu Wort zu melden.

Schön haben Sie es hier im Irrenhaus. Sie dürfen sich jetzt setzen.

Hören Sie zu: Wir sind alle miteinander nichts anderes als grundehrliche Menschen, die nur das Beste für Land und Leute wollen. Selbst in den verfahrensten Situationen ist das so. Sie müssen regieren, und zwar schnell, denn ohne Regierung vergißt das Volk zu schnaufen.

Um nun ein Höchstmaß an realitätsinduzierter Zeitersparnis in die Koalitionsverhandlungen einzubringen, müssen Sie sich aber im Klaren darüber sein, daß maximales Realitätsbewußtsein ohne ein Höchstmaß an Ehrlichkeit sich selbst gegenüber nicht herstellbar ist. Machen Sie sich also nichts vor.

Sie wissen so gut wie ich: Schon aus gymnastischen Gründen kann es unmöglich wahr sein, daß jeder von Ihnen ein Rückgrat hat. Um Ihre Flexibilität beneidet Sie der Berufsverband der Physiotherapeuten. So ist das. Politik macht eben beweglich, Partei macht flexibel. Das ist nützlich für die Koalitionsverhandlungen der Biegsamen. Schämen Sie sich nicht deswegen. Beweglichkeit ist etwas sehr Schönes. Viele Menschen hätten ebenfalls lieber kein Rückgrat, als stocksteif und unbeweglich am Marterpfahl ihrer eigenen Prinzipien zu stehen. Weil Sie also gar keinen Grund haben, sich für irgendetwas zu schämen …, da es nun einmal ist, wie es ist – und weil die Zeit drängt: Bilden Sie eine Bahamas-Koalition!

Behalten Sie Platz – Ruhe!

Die Bahamas-Koalition hätte eine parlamentarische Mehrheit. Lassen Sie´s krachen, meine Damen und Herren von der CDU, der AfD und der FDP. Laschet, Söder oder Merz werden Kanzler, Alice Weidel wird Vizekanzlerin, Wirtschafts- und Außenministerium an die AfD, Patrick … Christian Lindner bekommt Finanzen, Justiz, Orthopädie und Rückenschule. Die parlamentarische Mehrheit dafür ist vorhanden.

Ruhe, habe ich gesagt! Wollen Sie mich wohl ausreden lassen?

Ich weiß, daß das ein verwegener Plan ist. Gerade Sie, die Herren von der CDU und der CSU, würden sich nur selbst noch outen als das, was Sie sind: Biegsam. Daß Sie biegsam sind, ist jedoch längst bekannt, auch wenn Sie das bisher nicht wahrhaben wollten. Sie würden niemanden mehr überraschen. Jedenfalls nicht grundsätzlich. Quantitativ wahrscheinlich schon. Aber so ein Biegsamkeits-Weltrekord wäre ja auch wieder ein Wert für sich. Denken Sie einmal darüber nach. Kurz, wenn´s geht.

Das Sagen hätte in einer solchen Koalition die AfD. Und Sie, meine Damen und Herren von der Union: Frisch befreit von aller Angst vor der mißgünstigen und arglistigen Raute – warum gönnen Sie sich nicht einfach noch ein paar gutbezahlte, regenerative Jahre mit an der Regierung? Sie müssen sich ja keinen Stress machen. Schließen Sie sich einfach an, wenn die AfD etwas sagt, dann liegen Sie immer richtig, machen Sie wie gewohnt ein wichtiges Gesicht dabei und lernen Sie in den kommenden Jahren in aller Ruhe und ganz entspannt von Alice Weidel und der AfD neu, was Sie unter Merkel zu vergessen gezwungen worden waren. Begreifen Sie es als einen gut bezahlten Auffrischungskurs. Schieben Sie einfach alles auf Merkel. Renovieren Sie komfortabel und in aller Ruhe Ihr konservatives Image. Reden Sie von Unterdrückung durch die ehemalige Bundeskanzlerin. Sprechen Sie von einer Despotie. Nennen Sie die Repressalien, vor denen sich zu fürchten Sie guten Grund hatten. Und erzählen Sie, wie verzweifelt Sie auf eine Gelegenheit zum Widerstand gewartet hatten. Schieben Sie alles auf die verschwundene Walküre aus der Uckermark. Erzählen Sie, daß Sie wild entschlossen gewesen waren, dem moralinsauren Spuk ein Ende zu setzen. Und daß ihnen das unvorhersehbare Ende der Legislaturperiode leider zuvorgekommen ist. Meinetwegen erzählen Sie auch, daß Sie als politische Routiniers der AfD mit Rat und Tat zur Seite stehen wollen, um sie im Alltagsgeschäft zu entlasten … – na ja, das ganze übliche Bla-Bla eben. Sie wissen so gut wie ich, daß es nicht darauf ankommt, was der Wähler weiß, sondern auf das, was er glaubt.

Ihr Vorteil

Ruhe! Nehmen Sie ihm die Waffe ab! Setzen Sie sich wieder!

Alle zusammen wären Sie auf einen Schlag von umstrittenen, fast schon zwielichtigen Zeitgenossen zu Rettern von Ehre & Vaterland geworden. Sie hätten durch Ihren völlig rückgratlosen Zusammenschluß mit den Aufrichtigen, – diesem himmelschreienden Verrat an allem, was Sie in den vergangenen Jahren über die AfD geäußert hatten -, das ganze Land und seine Leute vor der Vernichtung durch die totale Inkompetenz bewahrt! Eine unbeschreibliche Rückgratlosigkeit und eine Ruhmestat zugleich!

Nicht die klimareligiöse Endzeitsekte würde Sie vor sich hertreiben, sondern Sie die Endzeitsekte! Sie könnten der ganzen Wokeness, der Political-Correctness, der Kompetenzenverscherbelung an supranationale Organisationen, der Einwanderung und alledem die Grenzen aufzeigen! Sie könnten sich vor den Augen des Volkes bewähren für Ihr würdeloses Versagen bei Merkels Verschiebung der Union nach links. In wenigen Jahren wäre Ihr Ansehen restauriert und Sie könnten sich als runderneuerte Union präsentieren. Sie könnten Frieden machen mit den Merkelkritikern in der EU und gemeinsam mit ihnen die Rest-EU liquidieren.

Alles, was es dafür bräuchte, ist, daß Sie zu Beginn Ihrer ohnehin anstehenden Regenerationsphase schnell noch einen neuen Flexibilitäts-Weltrekord aufstellen, einen politstilistischen Kulminationspunkt der Rückgratlosigkeit, sozusagen. Das werden Sie doch jetzt noch gar schaffen im Sinne des vollendeten Verrats an sich selbst, oder? Sie sind doch die Union! Enttäuschen Sie mich nicht mit gespielter Entrüstung über meine Behauptung, daß Sie genau die seien, für die ich Sie halte. Lassen Sie die Sau endgültig gar raus! Überlegen Sie: Wenn Sie schon unbedingt sein wollen, was Sie sind, dann seien Sie es doch wenigstens richtig!

Sagen Sie schöne Wörter wie “Zeitenwende” zu den “die Menschen” vor der Mattscheibe draußen im Land, sagen Sie “Pragmatismus”, “Ideologisches Zeitalter zu Ende”, “Deutschland”, “Merkel gottseidank weg”, “die Deutschen”, “Pendel schwingt zurück”, “buntkonservativ und weltoffen”, “Aufbruch in ein neues Denken”, “Klimareligion und Virendiktatur hinter sich lassen”, “Bessere Zukunft”, “Schönere Welt” – was weiß ich. Tun Sie so, als hätten Sie einmal gründlich nachgedacht. Und regieren Sie dabei mit. Zu Ihrem eigenen Besten.

Für Sie bleibt alles beim Alten – nur eben ohne Merkel. Entspannung pur! Lassen Sie die AfD ruhig machen. Langfristig besorgt die Ihr Geschäft, wenn Sie in einer Bahamas-Koalition brav die Füße stillhalten und schön nachsprechen, was Ihnen Frau Weidel vorsagt. Strecken Sie die Hand aus, sagen Sie: Sorry Freunde, war doch alles gar nicht so gemeint. Tut nuns leid. Nicht böse sein. Bedenken Sie: Die anderen sind auch nur Politiker und keine Heiligen. Und in puncto Scheinheiligkeit können wiederum die anderen von Ihnen lernen. Win-Win-Situation, wie der Experte sagt.

Außerdem: Stellen Sie sich den Entertainmentwert des Ganzen erst einmal vor! Sie verkünden, daß Sie eine Bahamas-Koalition beschlossen haben aus Union, AfD und FDP, begründen das mit der parlamentarischen Mehrheit, dem Respekt vor Demokratie und Wählerwillen, sprechen von Auftrag und schwerer Entscheidung – und die andere Seite schreit nach UN-Truppen, Ihrer Verhaftung, Bundeswehr, Antifa, Kriminalpolizei, Volksaufstand und militärischer Hilfe von den Intergalaktischen. Überlegen Sie, wieviele grünlinke Redakteure es vor Wut in der Luft zerfetzt und was das alles für ein herrliches Spektakel wäre! Allein dafür würden Sie bereits Ihre ersten Pluspunkte einsammeln.

Sie dürfen sich jetzt erheben und mir flüsternd dafür danken, daß ich Ihnen die Lösung des Koalitionsproblems aufgezeigt habe. Leise. Kein Applaus. Verrücken Sie die Stühle nicht. Fünf Minuten nach mir dürfen Sie gehen.