Neulich bei den Mainstream-Medien

In der Redaktion geht’s hoch her (Foto: Von Alexander Limbach/Shutterstock

 

Die Reinemachefrau hat gerade die Papierkörbe geleert und beginnt in aller Ruhe die weggeworfenen Textentwürfe von gestern Nachmittag, die eigentlich die aktuelle Ausgabe schmücken sollten, durchzulesen, als der Fahrstuhl anhält und den ersten Redakteur ausspuckt. Es ist wie jeden Morgen Olaf Brinker, der Mann der hoch hinaus will. Er hat sich auch heute viel vorgenommen, will mit sensationellen Themenvorschlägen die Kollegen aus dem Rennen werfen. Irgendein Schwachsinn wird sich ja wohl im Internet oder in den Konkurrenzblättern finden lassen.

Gegen neun Uhr füllt sich allmählich die Redaktion. Die Sekretärinnen drucken die Pressemitteilungen der Nacht aus, die ersten Telefone klingeln, der Lokalchef, wie immer verkatert, stampft über den Teppich und brüllt:

„Wer hat diesen Mist hier gestern verzapft, das ist ja unerträglich!“ Er knallt die zerknüllte aktuelle Ausgabe auf sein Stehpult. Die Sekretärinnen reichen ihm seinen Kaffee, das Mineralwasser und seine zwei Kekse. Ohne die macht er seinen PC nicht an.

Der stellvertretende Ressortleiter Uwe Steinwerk lacht und sagt: „Das warst Du Dödel doch selber“.

Er darf das sagen, in einer Woche geht er in Frührente.

Der Ressortleiter reagiert nicht. Kann er nicht, er hat sich am Keks verschluckt. Nachdem ihm die Sekretärinnen ein paar Mal auf den Rücken geprügelt haben, fliegt der Keks zurück aus der Luftröhre auf die Auslegware und er kann wieder Luft holen:

„Wenn ich nicht gleich in fünf Minuten die Schlagzeile für morgen habe, rollen hier heute noch Köpfe. Und die rollen direkt auf die Straße!“

Die Reinemachefrau muss Überstunden machen. Sie hat mittlerweile im Fahrstuhl die Textentwürfe von gestern durchgelesen und sich übergeben.

Kollege Heimann geht eine rauchen.

Die Stimmung in der Redaktion ist mal wieder auf dem Tiefpunkt angelegt, bevor die Arbeit überhaupt begonnen hat. Steinwerk murmelt in seinen grauen Bart: „Man ist der Boss wieder schlecht drauf. Hat ihn die Alte wohl nicht rangelassen. Na, das kann ja heute heiter werden!“

Und es wird heiter. Denn mit dem Auftritt von Nadja geht die Sonne auf. Die volontierende Blondine mit dem Kantholz vor der Hütte hat sich für den Lokalchef wieder besonders zurechtgemacht und die meisten Klamotten, die man zum Arbeiten braucht, im Kleiderschrank gelassen. Nervös puhlt der Ressortleiter im Teppich nach seinen Keksresten, als Nadja ihn brav mit einem Knicks begrüßt.

Kollege Heimann geht eine rauchen.

Der Lokalchef haut auf den Schreibtisch: „So, dann tanzt hier mal alle an. Und denkt daran: die morgige Ausgabe soll unsere beste werden!“

Brinker drängelt sich wie jeden Morgen vor: „Ey Boss, ich glaube ich hab‘ da was: Katzenfutter soll teurer werden. Na, wenn das nicht unsere Leser aufregt. Wenn wir das auf die Eins bringen, wird unsere Zeitung vom Stapel gerissen werden. Ich schwör’s!“

„Nette Idee,“ grunzt der Lokalchef. „Nadja, was meinst Du?“. „Ich habe eine Katzenallergie“, jammert diese. „Schade, dann fällt die Geschichte durch, bis wir von der Anzeigenabteilung etwas anderes hören! Das Urteil ist gefällt. Brinker fällt heute durch.

Auch die Polizeiredakteure haben nichts Besonderes zur morgigen Ausgabe vorzuweisen: Vier Tote bei einem Verkehrsunfall, drei Tote nach einem Familiendrama, ein Ehrenmord, sechs brutale Überfälle auf einem U-Bahnhof, zwei platt getretene Köpfe im Außenbezirk. Keine Täterbeschreibung.

„Langweilig, richtig langweilig“ pöbelt der Lokalchef. „Ohne deutsche Täter und türkische Opfer ist das nicht mal was für die letzte Seite. Strengt euch gefälligst mehr an, mit so einem Mist macht man keine Zeitung!“

So sitzen sie zusammen und keiner hat eine zündende Idee. Auch die Volontärin muss passen. Ihr Lieblingsthema „Wie flirte ich mit meinem Boss?“ fand letzte Woche schon den Weg ins Blatt. Ein Vorschlag ihrer Vorgängerin. Eine Blondine namens Tanja.

Plötzlich knallen die Türen. Die Sekretärinnen rennen kreischend durch das Großraumbüro. Der Chefredakteur hat die heiligen Hallen betreten. Nicht viel größer als ein tiefgelegter Bürostuhl, aber umso gewichtiger, walzt er zu seinem Chefsessel und klatscht ein paar Mal in die Hände. Untrügliches Zeichen, dass die Ressortleiterkonferenz zu beginnen habe. Der wichtigste Moment im Alltag einer Zeitung.

Seine Ansprache ist mal wieder klar und deutlich: „Ich gehe mal davon aus, dass Ihr Arschlöcher keine Themen habt, also habe ich mir etwas ausgedacht, was Euren Job retten wird.“

Freundliches, unterwürfiges, aber unbedingt einstimmiges Nicken und zustimmendes Brummen.

Kollege Heimann geht eine rauchen.

„Auf meinem mühsamen Weg zur Arbeit ist mir etwas Skandalöses aufgefallen. Auf unserem Prachtboulevard ist die öffentliche Toilette kaputt. Das ist der Hammer, das ist der Brüller, das ist der Stoff, aus dem man heute eine Eins, ach was sage ich, fünf Titelseiten macht. Das hat die Qualität einer Serie!“

Steinwerks Kommentar: „Was hat der Olle morgens auf einer öffentlichen Toilette zu suchen“ wird so leise vorgetragen, dass es keiner außer ihm selbst mitbekommt. Gut für ihn. Denn als Frührentner will auch er nicht ausscheiden. Ansonsten, wie jeden Morgen: Applaus, Applaus. „Sensationell, das wir nicht selber drauf gekommen sind.“

Kollege Heimann geht eine rauchen.

Kurz wird noch der Aufmacher der Sportredaktion abgenickt – Der Ressortleiter konnte sich heute sogar mit seinem „1:0“ gegenüber dem Chefredakteur und seinem „1:1“ durchsetzen – und los geht die Hatz nach Fakten, Hintergründen, O-Tönen und neuen Keksen für den Lokalchef.

Brinker verabschiedet sich zu einer Hintergrundrecherche, verspricht,  übermorgen wieder da zu sein, die anderen Kollegen wühlen sich durch Wikipedia, Steinwerk hat einen Termin beim Betriebsarzt. Dem Lokalchef bleibt also nichts anderes übrig, als die Volontärin Nadja loszuschicken. Sie soll noch mal an der Toilettentür rütteln und alle weiteren Toiletten auf dem Prachtboulevard zählen und überprüfen. Dann verschwindet der Lokalchef mit einer der Sekretärinnen in seine verlängerte Mittagspause.

Kollege Heimann geht eine rauchen.

Vor der Redaktions-Haustür wird am frühen Nachmittag ein Anschlag verübt, aber das kriegt keiner mit. Alle sind wie immer schwer beschäftigt. Der Andruck lauert und er kennt keine Gnade.

Es dämmert schon, als sich die Redaktionsräume wieder füllen. Steinwerk scheint vor seinem PC eingenickt zu sein, der Lokalchef spielt aufgeregt auf seinem neuen Iphone herum – ein Geschenk einer befreundeten Firma, Kollege Heimann ist von seiner Raucherpause zurück. Nur von Nadja keine Spur. Aber kein Problem, den Text haben die Sekretärinnen vorgeschrieben, die Seite Eins steht ebenfalls:

„Klo-Skandal in der Hauptstadt – hat sich der Bürgermeister verpisst?“

Zwei Minuten vor Andruck wird der Lokalchef schließlich doch noch nervös. Er schickt die Kollegen raus auf die Straße, Nadja suchen. Der Chefredakteur, der seit den Mittagsstunden in irgendeiner wichtigen Sitzung festgehalten wurde, hat schon eine böse SMS geschickt: „Wo bleibt die neue Ausgabe, muss ich denn hier alles alleine machen?“

In buchstäblich aller letzter Sekunde wankt Nadja endlich in die Redaktion. Ihre Sektfahne ist unwiderstehlich. Freudestrahlend empfängt sie der Lokalchef: „Na, meine Kleine, nun erzähl mal!“

Ihre Antwort ist kurz, aber präzise: „Da gibt es nicht viel zu erzählen. Die Toilette war gar nicht kaputt, die Tür hat nur etwas geklemmt. Ansonsten alles schön auf dem Prachtboulevard.“

Der Lokalchef holt einmal tief Luft und sagt: „Was soll’s, die Geschichte kommt so ins Blatt. Ich muss jetzt nach Hause, mit dem Hund gehen.“

Die Redaktionsräume leeren sich wieder. Nur Steinwerk bleibt unbemerkt auf seinem Stuhl sitzen. Ihn hat ein Herzinfarkt ereilt. War wohl zu stressig heute.

Am nächsten Morgen findet die Reinemachefrau, dort, wo Steinwerk von den Rettungssanitätern abtransportiert wurde, einen zerknüllten Zettel. Sie liest ihn sich durch: „Ich kündige!“ steht drauf.

„Na, das wäre doch mal eine tolle Schlagzeile“ grinst sie und macht sich an die Arbeit.